Eva-Maria Lerchenberg-Thöny

 

Kritiken zu den Tanz­the­a­ter­pro­duk­tio­nen am Staats­the­a­ter Braun­schweig

Presseartikel zu

Geschlossene Gesellschaft

Dance for You Januar/Februar 2010 Mihaela Vieru

Wie ein emotionaler Tsunami

„Die Hölle, das sind die anderen“, Jean-Paul Sartre (1905-1980)

Geschlossene Gesellschaft von Eva-Maria Lerchenberg-Thöny ist bereits als Produktion des Tanztheaters München uraufgeführt worden. Die tänzerische Umsetzung des Jean-Paul Sartre Klassikers war damals auf internationalen Festivals zu sehen und erhielt zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen. Jetzt feierte die Inszenierung Premiere im Kleinen Haus des Staatstheaters Braunschweig.

Das Stück ist eine Herausforderung, sowohl für die Choreografin wie für Ihre Tänzer und das Publikum. Man könnte denken, Tanz mag nicht dieselbe Wirkung auslösen wie das Wort. Falsch. Die Auseinandersetzung mit dem bekanntesten Drama von Jean-Paul Sartre Geschlossene Gesellschaft rüttelt auf. Warum setzen wir uns selbst der Hölle aus? Warum können wir nicht voneinander lassen, voreinander fliehen, sind dazu verdammt, andere zu quälen und wieder gequält zu werden?

Als Kernpunkt des Stückes spiegelt Sartre die dramatische Analyse zwischenmenschlicher Beziehungen, die zum Scheitern verurteilt sind: Liebe und erfüllte Sexualität können nicht bestehen, gegenseitige Anerkennung weicht Ablehnung und Hoffnungslosigkeit. Dabei ist der Mensch selbst verantwortlich für all seine Entscheidungen, sei es in sozialer, politischer oder psychologischer Hinsicht. Sartre selbst schreibt: „Wenn die Beziehungen zu anderen verquer, vertrackt sind, dann kann der andere nur die Hölle sein. Warum? Weil die anderen im Grunde das Wichtigste in uns selbst sind für unsere eigene Kenntnis von uns selbst.“

0210 (14K) Drei Protagonisten verkörpern Charaktere, die gefangen sind in ihren verkrusteten Gewohnheiten und Selbsturteilen, ein Teufelskreis den sie nicht zu durchbrechen wagen. In Lerchenberg-Thönys Inszenierung besteht die Hölle nicht aus Feuer und Schwefel, sondern wird als leerer, geschlossener schwarzer Raum mit nur drei Stühlen dargestellt, in den einer nach dem anderen den Weg findet: Der sadistische Journalist Garcin (getanzt von Ferdinand Holeva) misshandelte seine Frau und schickte sie kaltblütig in den Tod. Garcin verkörpert den Zyniker, der in entscheidenden Situationen versagt und von seinen Komplexen regelrecht aufgefressen wird. Die lesbische und hochintellektuelle Inés (getanzt von Lana Amory) schickte den Mann ins Verderben, dessen Frau sie selbst begehrte und die reiche Estélle ermordete ihr eigenes Kind und trieb ihren Geliebten in den Tod. Jeder begreift beim Eintreten des Raumes, wo er sich befindet, kann jedoch nicht entfliehen; die Situation ist ausweglos. Sie sind auf ewig gefangen.

Die Handlung nimmt ihren Lauf: Inés begehrt Estélle und versucht sie kompromisslos zu unterwerfen. Lana Amory besitzt einen athletischen Körper, ihre Bewegungen wirken hart. Estélle (getanzt von Daniella Indrizzi) bringt dagegen viel Sinnlichkeit ins Spiel, um sich an Garcin heranzumachen und seine Aufmerksamkeit zu wecken. Garcin, durstig nach Anerkennung, ist zerrissen zwischen den Frauen, die in ihren Kämpfen um- und gegeneinander zu Furien werden. Die bezwingenden Tanzsequenzen wiederholen sich zu einer emotional wirkenden Minimalmusik von Peter Ludwig und werden immer wieder von der Stille unterbrochen. Doch es gibt sie nicht wirklich, die Ruhe. Hastige Attacken, Gewalt, Begehren und Bezwingen - eine regelrechte Gefühlsexplosion entfaltet sich in einem aggressiv aufgelandenen Bewegungskanon. Dem Zuschauer stockt der Atem.

Es ist eben keine leichte Kost, was die Choreografin hier serviert. Doch Lerchenberg-Thöny wählt bewusst Tänzer, die durch ihre darstellerische Ausdrucksfähigkeit in der Lage sind, Spannung und Intensität aufrechterhalten zu können. Es fordert Mut, in ein derart bedrückendes Thema mit solch komplexen Charakteren einzusteigen. Geschlossene Gesellschaft bleibt ein fast einmaliges Beispiel tanz-theatralischer Vorzüglichkeit.

 

Dance Europe Dezember 2009 Claire Dommett

Tanz Theater Braunschweig

„Geschlossene Gesellschaft“

Eva-Maria Lerchenberg-Thöny originally created Geschlossene Gesellschaft (Closed Society), for Tanz Theater Munich – where she also danced in the work herself. Following its success there, it was shown at numerous international festivals and won wide acclaim and several prizes. Now in her third year as director and choreographer of Tanz Theater Braunschweig, Lerchenberg-Thöny has re-produced this powerful piece for her Braunschweig dancers.

Geschlossene Gesellschaft is based on Jean-Paul Sartre's work 'Huis Clos': Garcin, who took pleasure in persecuting his wife; Ines, a lesbian who murdered the husband of the woman she desired and Estelle, who in a wealthy, loveless marriage drowned the baby she had with her lover. All three end up in a room together where the locked double doors allow no escape – they are doomed to the personal hell of each others company. Garcin is the first to arrive in this gloomy space – completely bare except for three entangled chairs. This stark Set and the production´s costumes are designed by Peter Jeremias. Ines enters shortly after, elegant and haughty in a simple black dress and high heels, and is soon followed by Estelle, pretty and seductive and similarly dressed. As the doors slam shut the reaction is panic and then resignation. Each takes a chair to perch on to define their territory. Shoes are kicked off and the drama begins. Lerchenberg-Thöny cleverly manoeuvres her dancers through waves of provocation, desire, passion and ever-growing aggression towards each other. The atmosphere is oppressively claustrophobic.

Peter Ludwig's music for strings (performed by the Tango Mortale Ensemble), underlines the changing tensions. While there are moments of respite as a tango or waltz filters through, the overall pattern is a never-ending spiral of conflict and violence, during wich the characters use their chairs as weapons against each other. Even the phases of silence are full of tension and dominated by the exhausted breathing of these three relentless characters. As the lights go out at the end they are still ruthlessly entwined, apparently incapable of stopping their course of self destruction.

Jiri Kobylka as Garcin, Jana Ritzen as Ines and Mariella Argay as Estelle were all excellent, throwing themselves into their demanding roles, both physically and mentally, with total conviction.

 

Cellesche Zeitung 06.11.2009 Von Hartmut Jakubowsky

Mit Kraft, Ausdauer, Emotion: „Die Hölle sind die anderen“

„Geschlossene Gesellschaft“ mit gelungener Premiere in Braunschweig

BRAUNSCHWEIG. Die Hölle ist kein Raum aus Feuer, Schwefel und Gestank. Die Hölle, das sind diejenigen, denen wir unausweichlich ausgeliefert sind, mit denen wir bis in alle Ewigkeit einen Raum und alle Konflikte teilen. "Die Hölle, das sind die anderen".

Für Ihr Tanztheater „Geschlossene Gesellschaft“ ist Braunschweigs Chefchoreografin Eva-Maria Lerchenberg-Thöny bereits mit bedeutenden Preisen ausgezeichnet worden und hat auf internationalen Festivals große Erfolge gefeiert. Einen weiteren fügte sie jetzt mit der Premiere des Jean-Paul-Sartre-Klassikers im Kleinen Haus des Staatstheaters Braunschweig hinzu.

Die Hölle, in der die lesbische Ines auf den sadistischen Journalisten Garcin trifft und sich an die kaltblütige Mörderin Estelle heranmacht, ist ein leerer Raum mit schwarzen Wänden und einer grünen Tür. Zunächst erlaubt sie noch die Flucht. Dann klappt sie zu mit lautem Knall. Wer eingetreten ist, kommt nicht mehr hinaus. Er ist auf Ewig gefangen. Die Situation ist ausweglos.

Lerchenberg-Thöny hat dazu Tanzsequenzen von großer Eindringlichkeit geschaffen, deren beklemmende Wirkung sich in der Stille, im hastigen Atmen der Tänzer vor neuen Attacken und in der Minimalmusik aus den Lautsprechern geradezu körperlich auf die Zuschauer überträgt.

Gewalttätigkeit und besinnliches Begehren, Machtbesessenheit und bedingungsloses Ausgeliefertsein, Verzweiflung und schließlich die Unfähigkeit, sich aus der Situation selbst dann nicht mehr befreien zu können, wenn sich die Möglichkeit dazu ergibt, erzeugen Gänsehaut.

Eine solche Choreografie voller Tempo und Emotion braucht Tänzer mit überdurch-schnittlicher Kondition, Kraft und darstellerischer Ausdrucksfähigkeit. Jana Ritzen als Ines, Mariella Argay als Estelle und Jiri Kobylka als Garcin glänzen mit tänzerischer Dynamik und Präzision, steigern grandios ihre Präsenz von der anfänglichen Unsicherheit des Neuankömmlings über die Höllenqualen auswegloser Verstrickung
bis hin zu dem zwanghaften Wunsch, gar nicht erst geboren zu sein.

Großartiges Tanztheater mit erstklassigen Tänzern in einer Choreografie, die aufrüttelt.

 

Neue Braunschweiger 11.11.2009 Von Ingeborg Obi-Preuß

Zärtlichkeit, Wut, Verzweiflung: Die wilde Mischung der Liebe

„Geschlossene Gesellschaft“ im Kleinen Haus – Auf der Bühne tobt der Kampf der Geschlechter
0210 (14K)

...Zwei völlig verschiedene Frauen und ein Mann - auf der Bühne tobt der klassische Kampf der Geschlechter. Ines (Jana Ritzen) wirkt hart und kompromisslos, ihr muskulöser Körper betont eine androgyne Erotik. Sie begehrt Estelle (Mariella Argay) - der Gegenentwurf zu ihr: Weich und wunderschön setzt sie die berühmten Waffen einer Frau rücksichtslos ein. Dazwischen Garcin, Jiri Kobylka, den es fast zerreißt zwischen den Frauen, die in ihrem Kampf gegen- und umeinander zu Furien werden. Ein Beziehungsgeflecht aus Anziehung, Ablehnung, Liebe und Konfrontation. Zärtliche, flüchtige Bewegungen schlagen unvermittelt um in aggressiven Kampf. Das Publikum ist hingerissen. Viel Applaus.

 

Feuilleton TZ München

Die Schraube fester und fester

Die Lerchenberg-Thöny zeigte zudem, dass sie es versteht, Atmosphäre herzustellen. Vom ersten (lautlosen) Moment an weiß man um die Endgültigkeit der Situation. ....Völlig stücklegitim setzt sie auf Wiederholung, legt Strophen an, nimmt sich Zeit für Zeitlosigkeit und dreht die Schraube – bis hin zum Schluss-Accelerando – geschickt fester und Fester.

 

Feuilleton Abendzeitung München

Ausgeliefert in der Psychohölle

Zu der suggestiven, trotz sparsamster Mittel ungemein emotionalen Musik von Peter Ludwig entfaltet sich ein reichhaltiger Bewegungskanon, der die Psychohölle des Ausgeliefertseins mit Erotik und Gewalt aufheizt. Der Blick auf den Dritten ist immer präsent, die unauflösliche Verkettung der drei Menschen auch in den Ruhepausen zwischen den wilden Kämpfen als Körperspannung spürbar.

 

Standart

Infernales Tanztrio in Sartres Psychohölle

Lerchenberg-Thöny versteht es durch prägnante Bewegungssprache und markanten Ausdruck, die drei Charaktere mitreißend klar zu zeichnen. Das Publikum war von der ungewöhnlichen Darstellung des einander verzehrenden Trios begeistert.

 

Klaus Keil Tanzdrama

Choreographisches Drama

So tobt auf der Bühne der klassische Kampf der Geschlechter. „Die Hölle das sind die anderen.“ Von der flüchtigen Begegnung, die noch Zärtlichkeit in sich trägt, bis hin zum aggressiven Kampf um und mit dem anderen, der im Knäuel sich wälzender Leiber endet, wird das Beziehungsgeflecht aus Anziehung und Ablehnung, Resonanz und Konfrontation, Angst und Hoffnung in vielfältigen Schattierungen dargestellt.

 

Le Journal

"Huis Clos", ou la parole en mouvement

Lorsqu'on avait annoncé "Huis Clos" sous forme de Tanztheater ou "theatre dancé", c'est à dire dans une version où la parole est remplacée par le mouvement et le geste non mimé, mais dansé, la majeure partie des spécialistes et des profanes se dirent: Qu'est-ce que cela peutil bien donner?" "Huis Clos" étant basé sur un dialogue immensèment éloquent et sur une philosphie des plus subtiles, ne pouvait avoir le meme impact "sans paroles", pensè rent-ils. Ils s'etaient trompés, car ils avaient sousetimé les qualités choreographiques super-brillantes, l'esprit critique et la force analytique d'Eva-Maria Lerchenberg-Thöny, choreographe et responsable de "Huis Clos".

 

Dance Magazine

Huis Clos

...Not so with Thöny's Tanztheater: She succeeds in translating her literary source – Sartre's "Huis Clos" – into comprehensive dance.

© 2009 Eva-Maria Lerchenberg-Thöny